offline

direkt von der Front: die Mitschriften eines anonymen Offliners.

"26.3.2010
   Dear Diary oder so ähnlich. Vor drei Tagen aus „Recherchezwecken“ ein Profil bei facebook erstellt. Nicht völlig jungfräulich auf dem Gebiet, da schon myspace und studivz-erfahren, erwartete ich einiges. Die Explosion meines sozialen Kosmos ins Unermessliche, life 2.0 sofort und vor lauter Mitteilungen von Beschäftigungslosen keine Zeit mehr fürs Wesentliche haben.
Doch es war weit weniger spektakulär. Ich möchte fast schreiben: enttäuschend.
Gut, ich habe gefühlte 50 Freundschaftseinladungen verschickt (natürlich nur an Leute, die ich auch „in echt“ kenne) und habe heute schon 30 virtuelle freunde. Und natürlich hat es ein mulmiges Gefühl bei mir hinterlassen, dass ich die meisten von denen gar nicht suchen musste. Nein, facebook hat sie mir angeboten. Woher weiß es das? (die Erklärung hat wohl irgendwas mit meinem E-Mail-Account oder so zu tun, oder ob diese Leute mich schon mal gesucht haben. facebook sollte das nicht dürfen.)
Und ein paar dieser äh… Freunde haben mir dann auch direkt geschrieben, da es ja eine mittlere Sensation in dieser wohl recht ereignisarmen Welt, die ich mir mit ihnen teile, darstellt, dass ich, der große Systemkritiker und Warner (als ein solcher –möglicherweise sogar als Spinner, das weiß ich nicht, die trauen sich nicht- wird man ja schon wahrgenommen, wenn man nicht alles immer geil und super findet und auch mal ein zwei nicht befindlichkeitsfixierte Gedanken äußert, die – naja -  vielleicht sogar wirklich kritisch sind. Ist das alles schwer) jetzt auch dabei bin. Wenn die nur ahnten…
Wie auch immer, es ist fast unmöglich, besitzt man –so wie ich- in seinen eigenen vier Wänden keinen Internetanschluss und gehört –so wie ich auch- noch dazu zum regelmäßig arbeitenden Teil der Bevölkerung (eine Tatsache, der ich äußerst ungern ins spottende Auge sehe), diesem facebook wirklich gerecht zu werden. Es bietet so viel. Und verlangt so wenig in return. Naja, Zeit und Daten, aber die haben wir ja en masse und was soll der Geiz. Wer was wissen will, soll was wissen. Informationsgesellschaft eben. Besser: Informationsgesellschaft, Baby. Eh geil, Sätze mit Baby zu beenden. Ist irgendwie so –esk.
Fokus!
Also: facebook ist auf jeden fall evil, das wusste ich auch schon vorher.
Als Kommunikationsmedium genauso wie studivz und Konsorten durchaus nutzwertig (gibt’s das Wort schon? Will die schreibende Zunft es sonst eventuell von mir kaufen?), erschreckt es doch vor allem durch zwei Komponenten: sein Wissen und die Darstellungs-, Mitteilungs- und Fotomachundgucksucht seiner Benutzer. Zuwenig Liebe gekriegt als Kind? Wahrscheinlich.
Wieder mal keiner zugehört? Auch nicht auszuschließen.
Neuer Pulli noch nicht genug gewürdigt worden? Sieht wahrscheinlich scheiße aus, traut sich nur keiner zu sagen.
Ist alles unknorke, keine Frage. Aber warum denn dann die Welt (denn das scheint das ja zu sein, das facebook) damit zukleistern, das man gerade Stuhlgang oder ähnlich weltbewegendes hat, hatte oder haben wird und warum darauf auch noch reagieren? Weil man es kann? Ich kann auch ne ganze Menge, das meiste lass ich aber mal schön bleiben. Wäre nicht gut für mich und auch nicht für die anderen.
Es ist ein Graus, dieses facebook.
Und ich werde mich ihm stellen. Mindestens eine Stunde am Tag in den nächsten vier Wochen.
Mal sehen, ob es mich kriegt.
Ich vermute… ja.
Und schon in wenigen Tagen heißt es dann in meinem Profil:
„Gerade zu scharf gegessen. Bauchgrimmen. Ob wichsen wohl hilft?“
Schlimm auch die Ängste, die facebook auslöst. Für Leute, denen ich für Jahre erfolgreich entkommen war, bin ich jetzt wieder greifbar. Dann chattet man vielleicht mal (Worüber? Ich hab doch auch im wahren Leben nix mit denen zu reden) und auf einmal stehen die vor meiner Tür. Oder vorm Fenster. Schnell mal nachsehen…
Ne, keiner da.
Auch Scheiße.
Auch Scheiße: Man will ja auch wahrgenommen werden. Ist genauso wie mit den SMS. Wenn da nicht innerhalb einer Viertelstunde zurückgesimst wird, ist man eigentlich schon nicht mehr existent. Das muss prompt, das muss lustig, das muss fluppen. Kommunikation, Baby. Yes, da war es wieder! Das schreib ich morgen auf mein Profil.
Und Fotos. Ich muss geil aussehend geil ausgehen und geile Fotos von mir und meinen geilen Freunden dabei machen und die posten. Ah ja, Sony Henriccson oder wie das heißt-Slogan: Erst posen, dann posten. Sagt alles. Das Erleben und das Erlebnis an sich entstehen erst durch die Dokumentation des Erlebten und die Wahrnehmung durch Betrachtung derselben. Ich werde gesehen, also bin ich. Aber geil muss es aussehen.
Apropos: sind Karnevalspartyfotos eigentlich massenkompatible Wichsvorlagen?
Wäre es Beleidigung oder Kompliment, ginge ich auf einer Party zu einem geilen hippen Pärchen und frug: „Ihr habt euch doch bestimmt auch bei facebook kennen gelernt, oder?“
Das sind so die Fragen, wo man sich zu stellen anfängt.
Auch beliebt, zumindest in meinem Kopf: wie war das eigentlich vor Social Networks? Waren da alle unglücklicher? Also noch unglücklicher?
Wenn  ich auch so billig wäre wie viele billig sind, würde ich das hier übrigens direkt posten.
Noch so’n Ding: diese Gruppen. Das darf doch auch nicht wahr sein. Hat mir echt mal wer versucht zu erklären, was daran gut sein soll. So Identifikation, nicht allein sein mit komischen Ideen und so. Dabei ist gerade das doch gut. Sich mal allein fühlen mit seinen Ideen und Gedanken. Das macht doch ein Individuum aus. Masse kann jeder. Super einfach. Bisschen Alkohol, Musik nicht allzu scheiße, Augen zu, aufgehen im Mob. Ach Quatsch, schlimme Sache auch das. Sieht immer so hordig aus. Außerdem kann man doch eh nur drei Menschen weit gucken.
Wie ernst nehmen die Leute das facebook eigentlich? Müsste man doch rauskriegen können. Mal ne Umfrage bei den Medienwissenschaftlern starten.
Weil, wäre ja auch doof, wenn da asymmetrische Beziehungen aufgebaut würden.
Sowieso: Beziehungen. Das mit dem Witz war ja gar nicht so’n Witz.
Wie viele gibt’s da und wie geil ist das denn?
Man müsste mal so ne pro und kontra facebook liste machen. Das sieht bestimmt gut aus, dann kann man das fotografieren und posten.
Ich mach jetzt Nacktfotos. Man weiß ja nie…

28.03.2010
   Gestern das erste mal gechattet. Merkwürdig. Man ist online und somit zum Gespräch verfügbar. Hab mich also drauf eingelassen und anschließend direkt selber Leute belästigt, mit gemäßigtem Erfolg. Bin heute auch prompt gemaßregelt worden. Hat mir aber auch keiner gesagt, wie man das macht, das mit dem chatten.
Aber auch immens praktische dinge kann man machen. So weiß ich jetzt zum Beispiel, wo ich mir eine Cd der großartigen und leider nicht mehr existenten Band Mineral bestellen kann. Mensch, super.
Dann das: Freundschaftseinladung von einer aus meiner alten Stufe erhalten. Was tue ich, wenn die wissen will, wies mir geht? Wie geht’s mir denn?
Sind eigentlich Verabredungen, die man bei facebook trifft, für die reale Welt gültig?
Noch mal zum chatten: das ist ein bisschen so, als ob auf einmal jemand neben mir in meinem Zimmer steht, mit mir ein paar Minuten über Belanglosigkeiten redet und auf einmal wieder weg ist. aber ich hab ihm nicht die Tür aufgemacht und geklingelt hat er auch nicht. Anstrengend.
Naja. Muss mal ein paar von diesen komischen Spielen spielen und ein paar Tests machen und Fotos posten. Das sieht so verdammt nach arbeit aus.
Facebook ist in der Theorie spektakulär und man kann sich prima drüber aufregen. In der Praxis ist es eher ziemlich langweilig.

6.4.2010
   Liebes Tagebuch. Es tut mir leid, dass ich so lange nichts geschrieben habe, aber es passiert auch so wenig im facebook. Man muss sich wohl drum kümmern, und dazu fehlt die Zeit. Wobei: Eine gewisse Abhängigkeit hat sich schon eingestellt. Es ist wohl so wie früher, zu halbanalogen oder undigitalen Zeiten, also vor der Erfindung des Rades, mit dem Anrufbeantworter: Kommt man nach Hause und das Ding blinkt wie nichts Gutes und zeigt 30 Anrufe an, ist man gestresst und würde am liebsten in einer Höhle ohne fließend Wasser leben. Aber wehe, das kleine rote Auge schläft. Niemand hat angerufen, und, was noch schlimmer ist, niemand hat die eigene Unverfügbarkeit, die unfassbare Busyness, wahrgenommen und sich gedacht: Hach, der die das xy ist aber so was von ein / eine vielbeschäftigte/r ZeitgenossIn, Respekt, meine Herren. So ähnlich ist es mit dem facebook. Man geht da so rein, und wenn nichts passiert ist seit dem letzen Mal drinsein, ist erstmal unwichtig vorkommen angesagt. Funktioniert einwandfrei. Und verleitet zum aufdringlich werden. Was natürlich vom facebook einkalkuliert ist. Deshalb bietet es einem auf der Startseite erst einmal die mehr oder minder sexy Jetsetter-Aktivitäten seiner Freunde (ich habe momentan, also nach zwei Wochen, knapp 60, was mich noch gerade eben vor dem sozialen Existenzminimum rettet) an, die man dann schön kommentieren darf, kann und manchmal dann tatsächlich auch tut. Weil es halt geht. Und weil man tatsächlich das bescheuerte Gefühl bekommt, Teil einer – ähem - Community zu sein. Also irgendwie so einer von denen so, die relevant sind, so. Aber warum? Verhaltensforschend lässt sich da bestimmt recht schnell auf einen Nenner kommen, der Mensch ist ein soziales Wesen, das Internet auch, da haben wir den Salat. Ist halt bloß so dumm, dass die ganze Selbstdarstellsoße so arm ist und so langweilig und – da sollte man vielleicht wirklich mal öfter dran denken – in Afrika verhungern die Kinder, Obama kann auch nix, ach das macht auch keinen Spaß mehr. Facebook zeigt einem eigentlich auch nur mal wieder, wie klein, abhängig und beeinflussbar man ist, und wie sehr es Konsens ist, dies zu sein. Man hat ja gar keinen Bock mehr, sich aufzuregen und gerechten Zorn zu verspüren, da muss man schon Nazi werden, aber die nimmt ja auch keiner ernst. Auch nicht ganz unproblematisch, aber was soll’s. Zwei Wochen hab ich noch, am besten wär’s, schon jetzt mit dem Mist aufzuhören. Dann würden mich wahrscheinlich einige Leute im echten Leben darauf ansprechen und ich könnte dolle Gespräche darüber führen, die doch immer nur auf das eine hinauslaufen würden: ist alles nicht so schlimm, stell Dich nicht so an, macht doch Spaß, blablabla. Und sie haben Recht. Bis dann irgendwann das dicke Ende kommt und all die Daten relevant, verfügbar, gefährlich und in Nutzung sind. Dann kann man sich ins Fäustchen lachen. Aber will man das? Man will halt was anderes, aber facebook kleistert einem wirklich ziemlich erfolgreich den Kopf zu. Wie das wohl bei den Jüngeren ist, die doch noch viel mehr Wut im Bauch und direkte Energie haben? Können die das wirklich erfolgreiche,r weil damit aufgewachsen, als Vehikel benutzen oder ist das auch nur digitaler Aberglaube?
Ach, mit facebook seinen Frieden machen und entspannt auf den nächsten Wahnsinn warten. Das wär’s.

12.04.2010
   
So, endlich mal wieder was passiert im facebook. Ich bin da jetzt mit meiner Ex-Freundin befreundet. Oder be-exfreundet? Wer weiß das schon. Jedenfalls habe ich von meiner jetzigen  - äh -  Freundin erfahren, dass sie von mind. drei Menschen darauf angesprochen wurde, wobei diese mind. drei Menschen erwartungs- bis schadenfroh schauten. Puh, ja, und sonst?
Ich bin einfach nicht internetaktiv genug für den Scheiß. Der Selbstversuch entpuppt sich als ziemliche Nullnummer. Das echte Leben ist eben doch leidlich interessanter.
Wer hätte das gedacht…
Sonst nix. Wetter ist ganz gut. Das wird die Leute in die Parks ziehen, da haben sie dann ihre I-Phones dabei und können von Wiese zu Wiese chatten. Nice.
Ich bin draußen wie spielende Kinder.
 
30.10.2010
   Eins muss noch erzählt werden. Mittlerweile sind die Monate in dieses merkwürdige Land gegangen, seit ich mich dann auch endlich wieder beim facebook abmeldete. Dies tat ich allerdings nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, nach nur einem ins komische Land gehenden Monat. Vielmehr fraß es mich auf, das facebook, und spuckte mich nicht einfach unverdaut wieder aus. Da musste schon mit Brechmittel nachgeholfen werden. Und das kam so: All die anfänglich mit Ironie und dazugehöriger Distanz wahrgenommenen Phänomene schlichen sich in den Alltag ein und wurden alltäglich. So ertappte ich mich bald dabei, wie ich mehrmals täglich mein Leben dadurch verkomplizierte, dass ich bei facebook nachschaute, was denn so passiert. Und –potzblitz- es passierte einiges. Nur halt bei den anderen, fast nie bei mir. Ein Gefühl der sozialen Isolation stellte sich ein, wie damals in der Pubertät, wenn man es nicht geschafft hatte, zum Kreise der freitagabendlichen Fahrgemeinschaft in die nicht so nahe gelegene Großraumdisko zu gehören. Adoleszente Einsamkeit, verabreicht in kleinen, nahezu immer fast-lethal wirkenden Dosen, schön lecker über den Tag verteilt. Das kann doch nicht gesund sein. Vor allem in meinem Alter. Dachte ich, hörte aber nicht zu. Also mir. Stattdessen war ich auf einmal süchtig danach, mich immer wieder schön selbst zu quälen mit der eigenen Nicht-Vorkommnis im facebook. Warum postet keiner Fotos von mir? Naja, vielleicht, weil ich, sobald sich auf gesellschaftlichen Anlässen ein mit digitalem Fotoapparat (Glaubten die amerikanischen Ureinwohner übrigens tatsächlich, das fotografiert werden einem die unsterbliche Seele raubt? Ich fänd’s gut) bewaffneter Mitmensch in die Nähe drängelt, entweder nicht jugendfreie Gesten (wobei das mögliche Repertoire dieser in der Generation Porno ja verschwindend gering geworden ist) von mir gebe oder mein Antlitz verhülle wie eine Muslima beim Gassi gehen. Könnte sein. Oder vielleicht auch, weil ich mich auf den einschlägigen gesellschaftlichen Anlässen erst gar nicht erblicken lasse. Mag ebenso gelten. Dennoch wollte ich da vorkommen. Paradox. Trotzdem wahr. Nun ja. Den Todesstoß verpasste meiner digitalen Existenz letztendlich die heimtückischste aller Hieb- und Stichwaffen: die gute alte Liebe. Denn die von mir favorisierte Dame verabschiedete sich für einen Monat in andere Gefilde und ich nahm mir vor, ihre Abwesenheit für mich nicht noch dadurch zu erschweren, mir mit schöner Regelmäßigkeit die mit schöner Regelmäßigkeit zu erwartenden Fotogalerien über den Verlauf der Reiserei –diese waren zu erwarten, denn sie reiste mit emsiger, mit digitaler Kamera und medialer Verschlagenheit ausgestatteter Begleitung- via hier schon oft namentlich erwähntem Medium zum unruhigen Gemüte zu führen. Tat ich dann natürlich doch. Mit schöner Regelmäßigkeit. Es war dann auch gar nicht so viel wie erwartet. Aber es reichte. Ein merkwürdiges Gefühl der potenzierten Entfernung stellte sich ein, vermischt mit dem wirklich unangenehmen Gefühl, jemandem hinterzuspionieren, der alles andere als das verdient hat. So sah ich sie also auf Bergen sitzen, in Städten stehen und Tänze tanzen und dachte so bei mir: Eigentlich willste das von ihr erzählt kriegen, was in wie heißt der Typ nochs Namen machst Du hier, du Eimer? Half nichts, ich verfolgte weiter nach. Und all dies führte zu dem schönen Moment, von dem ich immer noch nicht ganz genau weiß, ob ich ihn mit surreal oder einfach nur beschissen betiteln soll. Es begab sich nämlich, dass ich eine E-Mail der Globetrotterin erhielt, in der sie mir mitteilte, dass sie einen Tag später als ursprünglich angekündigt zurückkehren würde. An eben jenem Tage aber, der der ursprünglich angekündigte war, betrat ich das facebook und musste zu meinem Erstaunen auf der Startseite erfahren, dass ihre Mitreisende bereits vor Stunden wieder heimischen Boden geküsst und eben jenes auch schon gepostet hatte. Nun, ich war von der irrigen Annahme beseelt, dass die Liebste mir ihre wohl ebenso bereits vor Stunden stattgefundene Rückkehr eventuell hätte kundtun wollen. War aber nicht so. Tja, der Jetlag. Doof war halt, dass ich sie erst am nächsten Tag zurück erwartete, facebook mich eines Besseren belehrte und der Anruf, auf den ich mich seit Tagen nicht wenig freute, trotzdem nicht kam. Laut Internet war sie wieder da, in echt aber nicht. Dann hab ich mich abgemeldet. Und sie mich auch."